17.3.2022 - Jann Raveling

Diese Maschine ist weltweit einzigartig – und kommt aus Bremen

Wirtschaftsförderung

Titanlegierungen für die Luft- und Raumfahrt, die Medizin-, Automobil- oder Maschinenbauindustrie

Anlage der HWH
Die Hybrid-Schmelzanlage in der neuen Halle © BAB / Jan Rathke

Titan ist ein weltweit gefragter Rohstoff – die Luft- und Raumfahrt, die Medizin-, Automobil- oder Maschinenbauindustrie setzen auf das Leichtmetall. Vorprodukte aus Titan, auch Halbzeuge genannt, werden nur von wenigen Unternehmen weltweit gehandelt. Eines davon stammt aus Bremen.

Rohstoffe sind ein Milliardengeschäft. Konzerne besetzen heute jeden Schritt in der Prozesskette, von den Minen über die Metallerzeugung bis hin zum Großhandel. Wer in Bremen unterwegs ist, besonders im Gewerbegebiet Bremer Industrie-Park, für den bestätigt sich dieses Bild auf den ersten Blick. Denn das Areal im Norden der Industriestadt grenzt direkt an das Stahlwerk von ArcelorMittal, wo jedes Jahr Millionen Tonnen an Stahl produziert werden. Die rostroten Hochofentürme schrauben sich rund 100 Meter in die Höhe, konstant steigen Rauch und Dampf aus den Walzstraßen auf.

Keine Chance für die Kleinen? Weit gefehlt. Denn in direkter Nähe, direkt im Industriepark, sitzt die HWH Hanseatische Waren Handelsgesellschaft. Profis im Geschäft horchen spätestens jetzt auf. Denn dieser Name steht weltweit für Verlässlichkeit im Titanhandel. Und jeder Menge Spezialwissen rund um das wertvolle Leichtmetall.

„Wir besetzen eine Nische. Wir kümmern uns um Sonderaufträge, wir liefern weltweit kundenspezifische Metalle und Halbzeuge, in Chargen, die für die Großen nicht interessant sind. Das macht uns besonders“, erklärt Dr. Patrick Voigt von der HWH. In den Lagern der Bremer liegen Rund- und Flachstangen, Walzdraht und Gussblöcke, hier entstehen Bauteile für Automotive oder auch Vormaterialien für die Dentalindustrie.

3 Männer mit Brille gucken in die Kamera
Freuen sich über die neue Halle: Marc Reimer, Leiter Vertrieb, Dr. Patrick Voigt, Director Development & Production und Daniel Hempel, kaufmännischer Leiter (v.l.) © Jan Rathke

Titanschmelzanlage sorgt für Unternehmenswandel

Voigt ist aber nicht hier, um über das Handelsgeschäft zu sprechen. Darin sind die Bremer eine gesetzte Größe. Für den Direktor Development & Production liegen die Interessen vor allem in der neuen Werkshalle, die in den letzten vier Jahren auf dem Firmengelände errichtet wurde.

In ihr steht die neue Plasma-Hybrid-Schmelzanlage: Mit der Grundfläche einer 4-Zimmer-Wohnung und zwei Stockwerken Höhe nimmt sie einen großen Teil des Gebäudes ein. Sie schlägt für die HWH ein neues Kapitel in der Firmengeschichte auf. Denn aus dem Händler wird nun ein Produzent mit weltweit einzigartigen Herstellungskompetenzen.

Titanlegierungen: Spezialwissen erforderlich

Eingeschmolzen werden hier daumennagelgroße Pellets aus Titan und weiteren Metallen, um daraus Legierungen zu erzeugen. Legierungen sind Verbindungen aus zwei oder mehr Metallen, die unter großer Hitze vereinigt werden und dabei neue Eigenschaften annehmen. Wie bei einem Kochrezept gibt es dabei unterschiedliche Zutaten für jede Legierung: Zum Titan gesellt sich in Bremen etwa Aluminium, Niob, Bor oder Molybdän. „Wir sind in der Lage, auf Kundenwunsch zugeschnittene Legierungen zu produzieren. Und das in kleinen und größeren Chargen von wenigen Kilogramm bis hin zur Großserie von mehreren Tonnen Material“, erklärt Voigt stolz.

Titanpellets
Eine Hydraulikpresse presst die Pellets zu einer kompakten Form für den Schmelzvorgang © BAB / Jan Rathke

Und schaut dabei auf die neue Schmelzanlage. Herzstück ist eine Schmelzkammer, in der eine Plasmalanze mit 5.000 Grad Spitzentemperatur das Metallgemisch unter Schutzatmosphäre verflüssigt. Die Kammer arbeitet nach einem eigens entwickelten Hybrid-Verfahren, das es der HWH erlaubt, den Schmelz- und anschließenden Erstarrungsprozess genau zu steuern und so die Qualität der Legierung zu optimieren und dabei energiesparend zu arbeiten.

Innovation aus Bremen trifft auf Marktlücke

Am Ende entsteht ein dicker Metallblock, je nach Anforderung zwischen 7 und 24 cm im Durchmesser und bis zu zwei Meter lang. Aus ihm können die HWH-Kundinnen und -Kunden dann ihre Produkte herstellen. Einige davon mit erstaunlichen Eigenschaften: Wie Titan-Aluminide für Luftfahrtanwendungen, refraktäre Metalle für Hochtemperaturanwendungen,  Wasserstoffspeicherlegierungen, die das flüchtige Gas binden können, supraleitenden Werkstoffe oder Formgedächtnislegierungen, die bei bestimmten Temperaturen immer wieder dieselbe Form annehmen.

Auch für die additive Fertigung produzieren die Bremer Metalle, die von anderen Dienstleistenden dann zu Pulvern für den 3D-Drucker verarbeitet werden können. „Wir sind für die Zukunft gerüstet“, fasst es Marc Reimer, Leitung Vertrieb bei der HWH zusammen. „Für die verarbeitende Industrie ist es sehr schwer, an diese Sonderlegierungen zu kommen, weil es kaum produzierende Unternehmen dafür gibt. Mit unserer Schmelzanlage füllen wir eine Lücke im Markt aus. Als Mittelständler sind wir zudem sehr flexibel – all das führt dazu, dass wir weltweit so gut wie konkurrenzlos dastehen.“ Rund 100 Tonnen Legierungen kann die neue Anlage pro Jahr produzieren.

Pellets und Legierung
Vorher und nachher - eine neue Legierung ist entstanden. © BAB / Jan Rathke

Ein Wagnis geht auf

Mit der offiziellen Inbetriebnahme rund um den Jahreswechsel 2021/2022 fällt dem Ingenieur ein kleiner Stein vom Herzen. Denn die Erforschung der neuartigen Schmelzprozesse und die Investition in die Maschine und die dazugehörige Werkshalle waren für das mittelständische Unternehmen mit seinen 20 Angestellten eine betriebswirtschaftliche Herausforderung. „Die Entwicklung hat rund 10 Jahre in Anspruch genommen. Wir haben immer an die Idee geglaubt, waren uns sicher, dass wir uns ein neues Standbein für die Zukunft aufbauen können. Aber es hat uns auch viel Schweiß und Arbeit gekostet“, erinnert sich Daniel Hempel, kaufmännische Leitung bei der HWH zurück.

Einen ersten Prototyp konnte das Unternehmen in einem Forschungsprojekt entwickeln. „Im Weiteren konnten wir dann mit einem renommierten deutschen Anlagenbauer unsere Konzeptideen finalisieren“, führt Hempel weiter aus.

Entwicklungsrisiken durch Förderung und Darlehen abfedern

Um das Entwicklungsrisiko schon frühzeitig abzufedern, setzten die Bremer auf eine enge Zusammenarbeit mit Förderinstitutionen. Über das Luftfahrtforschungsprogramm LuFo V3 des BMWi erhielten sie Förderung für die Technologieentwicklung. Dies ergänzte die BAB – Die Förderbank für Bremen und Bremerhaven mit einer FEI-Förderung (Forschung, Entwicklung und Innovation), das Unternehmen im Entwicklungsprozess unterstützt. Eine weitere Finanzspritze erhielten sie durch ein Darlehen im Bremer Landesinvestitionsförderprogramm, das dem Unternehmen die Investition in Halle und Maschinen ermöglichte. Zuletzt kam noch eine Unternehmensbeteiligung am neuen Geschäftsfeld über das Beteiligungskapital der BAB hinzu, welche das Eigenkapital von Firmen stärkt.

Für die Abteilungsleitenden der Wirtschaftsförderung bei der BAB, Ina Meier-Buick und Ansgar Wilhelm, ist die HWH ein Vorzeigebeispiel: „Eine passgenaue Kombination aus verschiedenen Förderprogrammen kann ein Unternehmen genau an den richtigen Stellen und zur richtigen Zeit unterstützen. Wir freuen uns, dass unsere Programme dazu beigetragen haben, dass hier in Bremen neues Know-how entstanden ist. Das stärkt die langfristige Wettbewerbsfähigkeit des Standorts.“

Neben neuem Know-how für Bremen hat die Schmelzanlage bereits vier neue Arbeitsplätze bei der HWH geschaffen. „Die langjährige Begleitung durch die BAB war und ist sehr wertvoll für uns. Bei jedem neuen Schritt war die Förderbank an unserer Seite. Die Beraterinnen und Berater haben hohe Fachkompetenz und konnten sich schnell in unsere unternehmerischen Herausforderungen einarbeiten, das war sehr hilfreich. Wir haben uns wertgeschätzt gefühlt“, freut sich auch Hempel von der HWH über die langjährige Zusammenarbeit.

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