09.01.19 - Reinhard Wirtz
Mit Augenmaß in die Zukunft

Senior und Junior - Rolf Indorf und Sohn Tim
Frank Pusch
Wie hat man sich ein alteingessenes
Handwerksunternehmen der Orthopädie-Schuhtechnik vorzustellen? Bilder einer
kleinen Werkstatt entstehen im Kopf, mit traditionellen Werkzeugen auf der
Werkbank, einer Nähmaschine, dazu der Geruch von Leder, Gummi und Klebstoff, eine
Vorrichtung zum Schleifen und Polieren mit bröseligen Materialresten auf der
Arbeitsbühne… Die Indorf Orthopädie-Schuhtechnik GmbH & Co. KG in
Bremerhaven entlarvt solche Vorstellungen schnell als vorurteilshaftes
Klischee. Hier haben Rolf Indorf und Sohn Tim mit einem neuen Firmengebäude,
neuen Dienstleistungen sowie neuen und ergonomischen Produktionsmethoden die
Weichen auf Wachstum und Zukunft gestellt.
Ihre neue Immobilie in der
Rudloffstraße 64 weihten die beiden Orthopädie-Schuhmachermeister zusammen mit
ihren zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie zahlreichen Gästen am 8.
Juni 2018 ein. Das Gebäude mit circa 450 Quadratmetern Fläche umfasst einen
Empfang, Werkstätten sowie Lager-, Büro- und Sozialräume. „Mit dem Neubau
machen wir das Unternehmen fit für die nächsten 81 Jahre“, so Tim Indorf. Er
spielte damit an auf die Gründung des Unternehmens im Jahr 1937 in der
Seestadt.
Das städtische Grundstück (gut 1.700
Quadratmeter) für den Neubau hatte Indorf über die BIS
Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbH
erworben. Zusammen mit der BAB - der Förderbank für Bremen und Bremerhaven
- konnte die BIS darüber hinaus das Investitionsvorhaben durch eine
Investitionsförderung im Rahmen des Landesinvestitionsförderprogramms (LIP
2014) unterstützen. „Die Wirtschaftsförderung, die Bremer
Aufbau-Bank und die Weser-Elbe Sparkasse haben uns mit Rat und
Tat wunderbar unterstützt, alles ging Hand in Hand“, lobt Junior Tim Indorf im
Rückblick das gemeinsame Engagement aller Beteiligten.
Indorf bietet orthopädische Schuhversorgung,
Neuschuhfertigung, Schuhzurichtungen und Einlagen (auch für Sicherheitsschuhe)
sowie Schuhreparatur an. Die Produkt- und Dienstleistungspalette wurde sorgsam
abgewogen und klar definiert. „Unser Vorteil liegt darin, dass wir keinen
Online-Shop unterhalten müssen. Wir liefern Handarbeit, und wir machen auch
keinen klassischen Maßschuhbau. Wenn wir Schuhe anfertigen, dann immer mit
orthopädischem Hintergrund. Allerdings versorgen wir viele Sportler mit
passenden Schuhen“, erläutert Indorf Junior die Firmenphilosophie.

Schuhmachermeister Indorf bei der Arbeit - Tradition und Moderne ergänzen sich
Frank Pusch
Eine umfassende Kundenberatung mit
individuellen Bedarfsanalysen, diversen Messungen wie elektronischen Druck- und Ganganalysen -
diese Dienstleistungen und der Einstieg des Juniors ins Familienunternehmen
führten in den vergangenen Jahren zu einer rapiden Ausweitung des Geschäfts. Eurogate,
die Lloyd-Werft,
Tchibo,
NTB,
die BLG,
Frozen
Fish (Iglo), Senvion und andere - die Kundenliste ist
schnell immer länger geworden.
»
„Die Kundenliste ist schnell immer länger geworden.“ «
Orthopädie-Schuhmachermeister Tim Indorf
„Ich bin 2008 als Geselle in das
Unternehmen eingestiegen und habe 2013 die Meisterschule abgeschlossen, von da
an waren wir zwei Orthopädie-Meister im Unternehmen und konnten hierdurch mehr
Aufträge abarbeiten. Mein Vater ist nach wie vor mit voller Kraft im Betrieb
aktiv. So konnten wir unser Portfolio erweitern und haben zahlreiche neue Kunden
hinzugewonnen“, skizziert Tim Indorf die Entwicklung der vergangenen Jahre, die
schließlich zur Entscheidung für die neue Firmenimmobilie führte.
Wenn Indorf sich nicht im Büro
aufhält, wo unaufhörlich die Telefone Aufmerksamkeit einzufordern scheinen, ist
er unterwegs. Rund 90 Prozent seiner Tätigkeiten übt er nach eigener
Einschätzung weder im Büro noch in der Werkstatt, sondern vor Ort bei seinen
Kunden aus. Dabei geht es um Beratung - etwa zum das Thema Arbeits- und
Sicherheitsschuhe, um Grundlegendes wie individuelle Fußmessungen, um
Produktentwicklung, für die Arbeitsplatzbegehungen oder dynamische
Druckmessungen an den Füßen beim Kunden erforderlich sein können, um
individuelle Ganganalysen, oder auch um die Abschätzung erforderlicher
Sicherheitsklassen für das Schuhwerk in rauheren Arbeitsumgebungen. Und
natürlich geht es immer auch um Ergonomie und Bequemlichkeit.
Es gilt der Grundsatz „Geht nicht - gibt’s nicht“
In der Regel liefern Partner die
Schuhe nach den Vorgaben aus den orthopädischen Analysen. Bei Großkunden wie
Eurogate, die es auf einen Jahresbedarf von mehreren 10.000 Paar Schuhen
jährlich bringen, kann das ein Direktvertrieb sein. Bei Kunden mit einem
überschaubareren Bedarf liefert Indorf selbst oder stellt Kontakte zu den passenden
Lieferanten her. Wo bestehende Schuhmodelle partout nicht passen wollen, kann
Indorf mit Schuhzurichtungen, Einlagen oder nach Maß angefertigtem Schuhwerk
punkten. Es gilt der Grundsatz: „Geht nicht - gibt’s nicht“.
Im neuen Firmengebäude stehen nun moderne
Maschinen, die sich per Knopfdruck auf individuelle Arbeitshöhen der
Mitarbeiter einstellen. Aufwändige Absaugvorrichtungen und Filter sorgen für
saubere Luft in den Werkstätten. Die Werkbänke weisen unterschiedliche
Arbeitshöhen auf. Die Vorrichtungen für die orthopädische Anpassung der Schuhe
sind mit Hubbühnen ausgestattet - ein Segen für Kunden (Rollstuhlpatienten) und
Mitarbeiter. Es gibt einen 3D-Drucker, der Datensätze der Fuß-Scanner und -Kameras in einen passgenauen Leisten für
den Maßschuh verwandelt.

Entstehungsprozess des orthopädischen Schuhwerks in unterschiedlichsten Größen und Formen
Frank Pusch
Im Leistenlager bei Indorf lässt sich
nachvollziehen, wie es ohne 3D-Drucker traditionell lief und teils noch bis
heute praktiziert wird. Der Orthopäde ermittelte früher an den Füßen der Kunden
die Maße und stellte danach aus einem Buchenholzblock diejenigen Leisten her,
über denen der individuelle Schuh gefertigt wurde. Moderner und nach wie vor im
Einsatz ist die Technik, einen Gipsabdruck des Fußes zu nehmen als Vorgabe für
einen Leisten, der anschließend mit einem plastischen Schaum ausgekleidet wird.
Rund 1000 solcher Leisten hängen - nach Nummern in Griffhöhe sortiert - nach
wie vor bei Indorf, ein wertvolles Inventar für nachfolgende Bestellungen.

Moderne Schuhfertigung - frisch aus dem 3D-Drucker
Frank Pusch
Das Modell des Fußes per 3D-Scanner,
CAD-Software und Drucker statt per Gipsabdruck herzustellen, bringt zeitlich
zunächst keine Ersparnis, berichtet Tim Indorf. Der große Vorteil bestehe aber
darin, dass mit dem Scanner, der nach Form und Größe Ähnlichkeit mit einer
handlichen Staubsaugerdüse aufweist -
überall gearbeitet werden kann, also auch direkt bei den Kunden vor Ort.
Das Hantieren mit Abdeckplanen und Putzeimern bei Gipsabdrücken entfällt. Nach
einem kurzen kreisförmigen Schwenk um die Füße der Kunden liefert der
Handscanner exakte und reproduzierbare Ergebnisse.
Der „weltweit 5. Kunde...“
Der Umgang mit CAD-Software und
3D-Drucker will geübt sein. Indorf ist Pionier in seiner Branche, so viel ist
sicher. Die neue Apparatur stammt von der Firma go-tec
aus Münster in Westfalen, Indorf hat sich „als weltweit 5. Kunde“ für dieses
Equipment entschieden, wie er sagt. Wer zu den Early Adoptern - den
frühzeitigen Anwendern neuer Technologien - zählt, kann zunächst nicht auf
Unterstützung durch eine breite Nutzer-Community bauen, sondern muss häufiger
nach dem Trial-and-Error-Prinzip vorgehen. Gleichbleibende Qualität des
Ausstoßes und die Maßhaltigkeit der Ergebnisse können noch perfektioniert
werden, räumt Indorf ein, es werde zunächst mit einzelnen Projekten nach
Fortschritten gesucht. Aber zwei Maschinen stehen bereits im Haus, demnächst
wird eine dritte dazukommen. „Mir war klar, dass man nicht einfach loslegen
konnte. Aber ich will einer von denen sein, die sofort richtig loslegen können,
wenn es mal soweit ist. Wirtschaftlich lohnt sich die neue Technik ohnehin
erst, wenn die Maschinen rund um die Uhr im Einsatz sind.“
Und es gibt einen weiteren Grund, sich
frühzeitig nach vorn zu orientieren: Wie viele Branchen, haben auch die
Anbieter von Orthopädie-Schuhtechnik erhebliche Probleme, an qualifizierte
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu kommen. Man müsse Lösungen finden, wie sich
unter solchen Umständen künftig Erleichterung und Unterstützung im
Arbeitsprozess organisieren lasse, ist man bei Indorf überzeugt.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden in die Planungen aktiv einbezogen
Offenheit und Flexibilität sind
gefragt, wenn es um Herausforderungen durch neue Technologien und Abläufe geht.
So wie bei Indorf, als die Werkstätten, Büros und Sozialräume am neuen Standort
in der Rudloffstraße 64 geplant wurden. Vater und Sohn plotteten ihre eigenen
frühen Skizzen auf DIN A1-Bögen und baten ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
um Feedback und Verbesserungsvorschläge. Es seien daraufhin noch viele Details
geändert worden, berichten die Indorfs.
Diskutiert wurde auch über die neuere
elektrische Reparaturmaschine im Nähraum, die jetzt vorne links neben dem
Eingang in der Ecke steht. Sie ruht dort „in Ungnade“, weil sich die
Belegschaft einhellig dafür ausgesprochen hat, nicht auf dieser, sondern weiter
auf der historischen Adler-Nähmaschine mit Fußantrieb zu arbeiten. Sie erlaube
ein Handling mit mehr Gefühl, und sie wird deshalb weiterhin mit großem Respekt
bedient und gewartet.
Eine Finnbahn rund um das Firmengebäude
Im kommenden Jahr wollen die Indorfs
eine Art Mini-Finnbahn mit Stein- und Teerstreifen rund um das neue
Firmengebäude in der Rudloffstraße legen. Kunden und Kundinnen sollen so die
Möglichkeit erhalten, mit ihren neuen orthopädischen Schuhen oder Einlagen
schonmal eine Proberunde zu laufen. In den Details wird deutlich: Die Indorfs
öffnen das Tor in die Zukunft mit Augenmaß.
Mehr zur
LIP-Förderung (https://www.bab-bremen.de/wachsen/kredite/lip.html),
speziell in Bremerhaven, erfahren Sie bei Dr. Jennifer Schweiger von der BIS,
Tel. 0471 94646605, schweiger@bis-bremerhaven.de.
Inwieweit wir Sie als
Förderbank darüber hinaus mit Krediten, Beteiligungen und Bürgschaften
unterstützen können, erfahren Sie bei Andrea Schlüterbusch, Kundenbetreuerin
Firmen- und Geschäftskunden BAB, Tel. 0421 9600-420, andrea.schlueterbusch@bab-bremen.de